Timeouts und integrative Schule - Ein Widerspruch?

Sonderpädagogisches und Sozialpädagogisches Timeout für Schulen, Lehrpersonen und Schulleitungen und schwierige Schüler

Sucht man nach schulischen Timeout-Angeboten in der Schweiz findet man unzählige Anbieter. Das Angebot ist dabei vielfältig und reicht von kurzen Auszeiten über Sonder- und Förderklassen, bis hin zu Brückenangeboten oder Bauernhofaufenthalten. In der Schweiz wird seit Jahren ein integratives Schulsystem angestrebt, dabei hat jeder Kanton seine eigenen Vorstellungen von einem integrativen Schulsystem. Wo in Zürich noch integriert wird, wäre bspw. im Aargau schon lange Schluss. Vermehrt fragt man sich, ob die integrative Schule angesichts der unlösbar scheinenden Herausforderungen gescheitert ist. Auch das Bestehen und die weitere Zunahme von Timeout-Angeboten lassen diese berechtigte Frage aufkommen.

Die Schule im Wandel

Man mag es aus der eigenen Schulerfahrung kaum glauben, dennoch hat sich die Schule grundlegend gewandelt. Die unfehlbare und unantastbare Lehrperson gibt es in dieser Form nicht mehr. Das heutige Verständnis einer Lehrperson wird mehr als LernbegleiterIn oder gar als Coach wahrgenommen. Fragt man Lehrpersonen, welche Rollen sie in ihrem Unterrichtsalltag einnehmen, hört man oft: Sozialpädagoge, Brandlöscher, Streitschlichter, Mama resp. Papa, Der Lehrplan 21 richtet sich nach Kompetenzen und soll Kinder und Jugendliche im Hinblick auf künftige Herausforderungen zu selbstkritischem, kreativen und lösungsorientierten Handeln befähigen. Die Integration von schulisch schwachen und verhaltensauffälligen SchülerInnen wird umgesetzt, wenn auch teils sehr unterschiedlich. Das Schulangebot wurde um Schulpsychologie, Schulische Sozialarbeit, Förderlehrpersonen, Schulischen HeilpädagogInnen usw. erweitert. Alle diese Fachpersonen leisten an Schulen tagtäglich einen essenziellen Beitrag für unseren Nachwuchs und damit für unsere Gesellschaft. Da auch jeder von uns zur Schule ging, meinen wir auch zu wissen, wie Schule umgesetzt werden muss. Die Schule steht unter ständiger Beobachtung, speziell wenn es um Leistungstests wie die Pisa-Studie geht oder um den Lehrpersonenmangel, der vor den Sommerferien viel mediale Beachtung erhält.

Verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche gab es schon immer

Fakt ist: Verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche gab es schon immer. Was anders geworden ist, ist der Umgang damit. Kinder und Jugendliche, welche sich nicht “normal” verhalten haben, wurden ausgesondert oder mit harten Mittel bestraft. Die Lehrperson war eine einzige respektierte Institution. Eine Überforderung mit einzelnen SchülerInnen konnte und durfte man nicht zugeben, genau so wenig wie über seinen eigenen gesundheitlichen und mentalen Zustand zu sprechen. Die gesellschaftliche Erwartung war klar abgesteckt und als Lehrperson hatte man diese Erwartung ohne Wenn und Aber zu erfüllen. Es ist selbsterklärend, dass in diesen Zeiten ein Timeout oder ein Einzelunterricht nie in Frage gekommen wären.

Die integrative Schule - Ein neuer Umgang mit Verhaltensschwierigkeiten

Mit dem Schulwandel ändert sich auch der Umgang mit schwachen, aggressiven und verhaltensauffälligen Schülern. Grosse Begeisterung und Anklang findet auch die “Neue Autorität” als Konzept im Umgang mit herausforderndem Verhalten. Lehrpersonen und Schulische HeilpädagogInnen sind sensibilisiert, um Schülerinnen und Schüler eine auf ihre Bedürfnisse angepasste Unterstützung zu geben. Neben dem grossen administrativen Aufwand und der Vielzahl an besonderen Bedürfnissen kann dies aber nur den wenigsten Lehrpersonen in der Praxis wirklich gelingen.  Positiv hervorzuheben ist, dass Lehrpersonen vermehrt auf ihre mentale Gesundheit achten und Überforderung entgegnen. So verwundert es auch nicht, wenn Lehrpersonen ihre Pensen kürzen. Damit soll gesagt sein, dass auch die Forderung an die Lehrpersonen ihr Pensum zu erhöhen, reines Wunschdenken ist. Es ist nicht der blosse Wunsch nach mehr Freizeit, sondern das Bedürfnis auch einmal Verantwortung abgeben zu können und auf seine eigene Gesundheit zu achten.

Das Timeout ist für alle da!

Es gab sie früher, es gibt sie jetzt und es wird sie auch zukünftig geben: Kinder und Jugendliche, die trotz aller Versuche der Lehrpersonen im Unterricht aus vielerlei Gründen nicht mehr tragbar sind. Ein in den letzten Jahren aufkommender Begriff für diese Gruppe von Kindern und Jugendlichen ist “Systemsprenger”. Im Schulzimmer verunmöglichen sie die Durchführung des Unterrichts und fordern einen Grossteil der Aufmerksamkeit, Beachtung und der Ressourcen der Lehrpersonen, auf welche andere SchülerInnen ein Anrecht haben. Diese Kinder und Jugendliche, also die sogenannten “Systemsprenger”, haben ebenfalls ein Anrecht auf eine bedürfnisorientierte Begleitung durch ihre Krisenzeit. Ein Timeout kann hier für Entlastung aller Beteiligten sorgen: Kind bzw. Jugendlicher, Eltern, Lehrpersonen und MitschülerInnen. Im Timeout von Myndsetting bieten sich Raum und Zeit für Chancen, zum Durchlüften, Reflektieren und Weiterentwickeln.

Timeout als Chancen sehen

Schulische Timeouts finden häufig gegen Ende des Zyklus 2 (Mittelstufe) und im Zyklus 3 (Oberstufe) statt. Dieser Umstand kommt nicht von ungefähr. Die Kinder und Jugendlichen befinden sich in einer anspruchsvollen Phase. Sie stehen vor Entwicklungsaufgaben, die für sie herausfordernd und mit grossen Unsicherheiten verbunden sind. Typische Entwicklungsaufgaben in der Adoleszenz sind bspw. die Auseinandersetzung mit dem Selbst, die Bedeutung der Peers, Veränderungen am Körper, die Ablösung von den Eltern, um nur einige davon zu nennen. Zudem hören sie von uns Erwachsenen, wie wichtig es ist, sich rechtzeitig mit der Berufswahl auseinanderzusetzen, was zusätzlichen Druck entstehen lässt. Während dieser Zeit sind besonders Jugendliche stark unter Druck: Sie sind mit sich selbst beschäftigt, sollen sich dann aber bereits Zukunftsperspektiven erarbeiten, sich selbst vermarkten um andere BewerberInnen auszustechen. Einige Jugendliche reagieren mit heftigem Protest, Rückzug oder zeigen unerklärliches Verhalten, um auf ihre schwierige Situation aufmerksam zu machen. Steht ein Timeout oder ein Einzelunterricht im Raum, muss genau hingeschaut werden, was es in welcher Form braucht.

Timeouts bieten, was die Schule nur bedingt leisten kann

Ein Timeout oder schulische Auszeit soll ein unterstützendes Angebot für Schulen sein. Somit ist ein Timeout auch keine blosse Fortführung schulischer Inhalte an einem anderen Ort mit engerer Begleitung. Es wäre ein Irrglaube zu meinen, dass eine SchülerIn nach einem Timeout wie gewohnt an den Klassenaufgaben weiterarbeiten würde. Die zugrundeliegende Herausforderung für das Kind, welches sich häufig in der sozialen Entwicklung zeigt, muss professionell angegangen werden. Ohne ausreichend ausgebildete Selbst- und Sozialkompetenzen ist Lernen unmöglich. Man kann ein Arbeitsblatt ausfüllen, gelernt hat man so aber noch nicht. Die Persönlichkeitsstärkung, Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten, das Entdecken eigener Ressourcen und positive Lernerfahrungen um die Selbstwirksamkeit zu stärken sind ebenso zentral wie die systemische Arbeit mit dem Umfeld des Kindes bzw. des Jugendlichen. Ein Timeout soll Raum und Zeit für Entwicklung resp. Chancen schaffen, in welchen sich Kinder und Jugendliche neu erfahren können. So kann es Schülern langsam gelingen ihre tief verwurzelten Glaubenssätze aufzubrechen und durch positive zu ersetzen.

Erlebnispädagogik

Wer sich mit herausforderndem Verhalten beschäftigt, stösst bald auf die Erlebnispädagogik. Doch was ist Erlebnispädagogik überhaupt? Erlebnispädagogik nutzt handlungsorientierte Methoden, um einen Lernprozess in Gang zu setzen. Sozial- und Selbstkompetenz, die sinnliche Wahrnehmung und das Lernen durch Handeln wird gefördert. Die direkte Reflexion unterstützt den Lernprozess. Insbesondere bei lernschwachen Kindern und Jugendlichen sind diese unmittelbaren Lernerfahrungen sehr förderlich. Erlebnispädagogische Interventionen reichen von teamfördernden Aktivitäten (Einkaufen, Kochen, gemeinsames Essen), über handlungsorientierte Spielformen bis hin zu Aktivitäten in der Natur. Alle erlebnispädagogischen Interventionen ermöglichen «alte» Handlungs- und Gedankenmuster zu überdenken, allenfalls aufzugeben und Neues auszuprobieren. Die Erlebnispädagogik fokussiert sich stark auf den Entwicklungsprozess von Menschen.

Was bietet Myndsetting? Was zeichnet Myndsetting aus?

Myndsetting begleitet herausfordernde Kinder und Jugendliche in ihren individuellen Veränderungsprozessen. Die sonder- und sozialpädagogische Förderung mit erlebnispädagogischen Elementen machen Myndsetting aus. Die verschiedenen Methoden bringen Veränderungsprozesse in Gang. Ziel jeder Begleitung ist die Entwicklung respektive Stärkung von Perspektiven. Die Jugendlichen entdecken neue Ressourcen und Fähigkeiten und sammeln erste Erfahrungen mit deren Anwendung. Vor allem im Zyklus 3 können Arbeitseinsätze neue Chancen sein, um eigene Ressourcen zu entdecken, vor allem da in der Arbeitswelt andere Attribute wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit einen weitaus höheren Stellenwert geniessen. Neben der Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen hat sich die systemische Arbeit mit allen Beteiligten bewährt. Unterstützung erhalten die Eltern im Elterncoaching. Herausfordernde Situationen kommen zur Sprache. Neue Handlungsansätze werden entwickelt, eingesetzt und reflektiert. Wir orientieren uns am Konzept der Neuen Autorität resp. der Neuen Autorität in multikulturellen Erziehungskontexten. Unserer Erfahrung nach braucht es für nachhaltige Veränderungen rund 12 Wochen. Ein Teil dieser 12 Wochen findet aber in der Regelschule statt, bei welcher bereits Unterrichtstunden in der Regelklasse besucht werden. Die Unterstützung erfolgt in dieser Zeit durch regelmässiges Coaching in Form eines Follow-Ups.

Timeout und Integration – ein Widerspruch?

Keinesfalls. Es gibt immer wieder Kinder und Jugendliche, die Grenzen überschreiten und den Rahmen an Unterstützungs- und Förderressourcen sprengen. Diese Gruppe ist auf dringende Unterstützung angewiesen. Querversetzungen, Schulinseln usw. sind hier kurzfristig entlastend aber keinesfalls zielführend. Somit wird bei sich abzeichnenden Timeouts oft viel zu lange gewartet. Zum Leid aller Beteiligten.

Das sonder- und sozialpädagogische Timeout Myndsetting bietet einen Mehrwert (etwas was die Schule nicht leisten kann):

  • Intensive Persönlichkeitsentwicklung

  • Intensive Auseinandersetzung mit der Berusfwahl

  • Migrationssensible Elternarbeit

  • Einen hohen Anteil an lebenspraktischen Erfahrungen

  • Eine enge sonder- und sozialpädagogische Begleitung und Förderung

Was den Erfolg von schulischen Timeouts ausmacht

Damit Timeouts gelingen und die Reintegration in die Regelklasse funktioniert, gibt es vier zentrale Punkte:

  • Das Kind und dessen Entwicklung steht stets im Zentrum

  • Die Rückkehr in die Klasse wird in wenigen Wochen anvisiert

  • Eltern und Schule sind am Prozess und Lösungsfindung beteiligt

  • Das Timeout für Schüler bietet einen Mehrwert (etwas was die Schule nicht leisten kann)

Sind diese Gelingensbedingungen gegeben, stehen die Chancen für positive Veränderungen gut.

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Verhaltensauffälligkeiten in der Schule

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